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Sonntag, 4. Dezember 2011

Ein Weihnachtswunder

Ja, ich habe auch Weihnachtsgeschichten auf Lager. Und wer naive Kunst nicht mag, sollte hier nicht weiter lesen.
Diese Geschichte entstand wie so viele andere in der Straßenbahn. Es war im Jahr 2006, zu Beginn der Weihnachtszeit. Zufällig saß etwas weiter vorn im Waggon ein ärmlich gekleideter, zerzauster Mann mit einer großen Einkaufstüte. Er wirkte unendlich müde und sank immer wieder in sich zusammen. Als ihm der Kopf auf die Brust fiel, entglitt die Einkaufstüte seinem Griff, und ein grauer Teddybär kullerte heraus auf den nassen, schmutzigen Boden. Er nahm ihn erschrocken wieder an sich, säuberte ihn liebevoll und packte ihn wieder ein. Dieser Moment trieb mir die Tränen in die Augen, und die Geschichte entstand wie von selbst. Ich musste mir das einfach von der Seele schreiben.

Ein Weihnachtswunder

Kennst du den bunten Weihnachtstrubel in der Großstadt? Ich denke, dass jeder ihn einmal erlebt haben sollte. Überall blinken bunte Lichter, ein großer und reich geschmückter Weihnachtsbaum steht auf dem Marktplatz und die Luft ist geschwängert vom Duft vieler Süßigkeiten. Aus jeder Gasse tönt Weihnachtsmusik, die von Kindern oder Straßenmusikern gespielt wird. Alle Leute schauen fröhlich drein. Nein, nur fast alle. Einige Menschen scheinen selbst an diesen glücklichen Feiertagen von schweren Sorgen geplagt zu sein. Ihre Kleider sind schmutzig und zerschlissen. Auf Ihren Knien betteln sie mit beschämtem Blick um etwas Geld oder Essen. Und oft bekommen sie auch etwas, denn zu Weihnachten sind viele Leute etwas freigiebiger als sonst. Aber manchmal genügt das einfach nicht. Manchmal ist es einfach zu kalt, um auf vereisten Parkbänken zu schlafen, und der Kuss des Morpheus wird zum letzten, den sie je verspüren werden. Von einem dieser Menschen möchte ich berichten.

Er war Vater von drei Kindern, einem dreijährigen Jungen – Felix, sein Jüngster – und zwei niedlichen Mädchen im Alter von acht und zehn Jahren. Nur zu Weihnachten durfte er sie sehen. Deshalb war es die einzige Zeit im Jahr, da er fühlte, am Leben zu sein.
Es war nicht seine Schuld, dass er einen Job nach dem anderen verlor, wirklich nicht. Aber seiner Frau war das völlig egal. Er brauchte viel Zeit, sich davon zu erholen, als sie ihn deswegen einfach vor die Tür setzte. Sie hielt ihm vor, ein Versager zu sein, und einen Versager duldete sie nicht als Vater ihrer Kinder. Schweren Herzens nahm er Abschied von ihnen. Irgendwie hatte sie vielleicht Recht. Vielleicht war er wirklich daran schuld, dass er einfach keine Arbeit fand. „Wirtschaftliche Gründe“ klangen für ihn ohnehin immer wie eine Ausrede. Er wusste nicht viel über Wirtschaft. Und dieses Thema war für jemanden, der sich nur noch darum kümmerte, ob er genug Kleingeld für eine Kleinigkeit zu essen zusammen bekam, wirklich nicht wichtig.
Was er wusste, war, dass sein Leben keinen richtigen Sinn mehr hatte. Es gab nur noch einen Grund, überhaupt am Leben zu bleiben: Das Lächeln auf dem Gesicht seines Sohnes - einmal im Jahr, wenn er ihn sehen durfte.
Es war wieder Weihnachten. Das ganze Jahr hindurch hatte er immer wieder ein wenig Geld beiseite gelegt, um ein kleines Geschenk kaufen zu können. Es war nicht einfach, überhaupt ein Geschäft zu finden, aus dem er nicht hinausgeworfen wurde, bevor er auch nur einen kurzen Blick hinein werfen konnte.
Aber dann fand er einen kleinen Spielzeugladen mit einem wundervoll geschmückten Schaufenster. Lange stand er unschlüssig davor. Doch dann öffnete sich die Tür und eine ältere Frau lächelte ihn gutmütig an.
„Kommen Sie doch herein, bei der Kälte!“, sagte sie und machte eine einladende Geste. Ermutigt betrat er den gemütlich warmen Laden und sah sich um.
„Was suchen Sie denn?“, fragte sie höflich und reichte ihm eine Tasse heißen Tee.
„Etwas für meinen Felix. Er ist drei Jahre alt“, antwortete er leise, während er begierig schlürfte und seine kalten Hände aufwärmte. Seine Augen schienen sich ein wenig aufzuhellen, als er den Namen seines Sohnes aussprach.
„Vielleicht ein kleines Plüschtier?“, fragte die alte Verkäuferin, „Darüber freuen sich kleine Kinder immer. Ich hätte da einen ganz besonderen Teddybären für einen ganz besonderen Jungen. Auch für den kleinen Geldbeutel geeignet“
Mit diesen Worten reichte sie ihm einen weichen Teddy mit schwarzen Augen. Genau das richtige für Felix, das spürte er einfach.
Irgendwann musste er den warmen Laden wieder verlassen. Das wenige Geld, das er mitgebracht hatte, hatte wie durch ein Wunder gereicht.
„Passt genau“, hatte die alte Frau mit einem verschmitzten Blick zu ihm gesagt und ihn zur Tür begleitet. Sie winkte ihm sogar noch nach, als er sich auf den langen Weg durchs Schneegestöber bis zur Straßenbahnhaltestelle machte.
Als er einstieg, starrten ihn viele Leute an. Aber das ignorierte er, wie immer. Behutsam nahm er den schmutzigen Beutel, der all sein Hab und Gut enthielt, auf den Schoß und hielt ihn gut fest. Ein leichtes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, als er ab und zu einen Blick hinein warf und das kleine Plüschtier betrachtete.
Immer wieder übermannte ihn die Müdigkeit. Die wärmende Wirkung des Tees ließ schnell nach, und er fror sogar in der beheizten Straßenbahn. Mehrmals entglitt der Beutel seinem schwachen Griff, und der Teddy fiel auf den nassen, dreckigen Boden. Aber jedes Mal hob er das Geschenk behutsam wieder auf, so zärtlich als sei es sein Sohn selbst. Er wischte sorgfältig den Dreck aus dem Fell und steckte ihn wieder ein.
Nach einigen Haltestellen verließ er die Bahn und verschwand in der kalten, eisigen Dunkelheit. Er spürte die Kälte und den Hunger schlimmer denn je, und sein letztes Geld hatte er für ein Weihnachtsgeschenk ausgegeben.
Zurück in den Straßen der Innenstadt, fragte er einige Leute nach Zigaretten, um seine klammen Finger aufzuwärmen, oder etwas Geld, um sich Essen kaufen zu können.
Obwohl er von einem gnädig schauenden Studenten eine lauwarme, angebissene Bratwurst geschenkt bekam, wurde die Kälte immer unerträglicher.
Er begann zu zittern, und jede Schneeflocke in der Luft schien den kürzesten Weg in seine brennenden Augen zu suchen.
Als er sich setzte, begann der Schnee, ihn über und über zu bedecken. Aber er war zu schwach, ihn wegzuwischen. Seine Kraft reichte nur noch aus, um den kleinen Teddy aus dem Beutel zu holen und fest zu umarmen. Dann fühlte er eine unendliche Müdigkeit…

Der Schneesturm war vorbei. Kleine Schneewehen hatten sich am Wegesrand abgelagert. Ein kleiner Junge, ungefähr drei Jahre alt, schlenderte mit seiner Mutter die Straße entlang. Freudig jubelte er auf, als er auf einem großen Schneehaufen einen niedlichen Teddybären fand. Er hatte schwarze Knopfaugen und ein kuschelweiches Fell. Und er sah aus, als sei er geradewegs für ihn gemacht.
„Du bist ein Glückspilz. Ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk!“, lachte seine Mutter, und sie zogen beide weiter.
Was sie nicht sahen – und das war sicher besser so – war der arme Mann, der unter seiner Bettdecke aus Schnee in ewigen Schlaf versunken war. Seine rechte Hand war weit nach oben ausgestreckt, damit ein besonders wertvolles Geschenk nicht unter den Schneemassen begraben wurde. Felix sah seinen Vater nie wieder. Aber der Teddy wurde fortan sein bester Freund.

Glaubst du an Weihnachtswunder?

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Ein Weihnachtswunder von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Samstag, 29. Oktober 2011

Die Mär vom kleinen Vampyr

Eines vorweg: Ich mag Halloween nicht. Ich halte es für eine lächerliche Parodie alter Bräuche, kommerziell verwertet. Aber das folgende Gedicht schrieb ich auch nicht zu einem solchen Anlass. Deshalb muss ich mich auch nicht an den genauen Termin halten, es war nur das in den Medien verstärkt auftretende Motiv, das mich an dieses Werk erinnerte.

Es ist unglaublich gruselig, und ich empfehle einen Beruhigungstee mit Baldrian, um diese schockierende Geschichte verarbeiten zu können.

Die Mär vom kleinen Vampyr

Es war einmal ein altes Schloss
mit einem dunklen Wald davor
Und ängstlich scheute jedes Ross,
das schnupperte am Gittertor

Gar weise war der Pferde Scheu,
denn drinnen haust’ zu aller Schrecken
Vampyrfamilie Nebeltreu,
um vor der Sonn’ sich zu verstecken

Der Stammbaum reichte weit zurück
bis hin zum alten Dracula
Schon lange hielt das Liebesglück
und auch ein Kindelein war da

Doch ging’s dem Sohne gar nicht gut;
der Eltern Nerven lagen blank:
Das Kind trank keinen Tropfen Blut
Drum wirkte es recht schwach und krank

Es blieben heil der Opfer Kehlen,
denn Vampyr Junior biss nicht zu
Es schien an Mitleid nicht zu fehlen
mit Mensch und Katze, Schaf und Kuh

Doch dann beim mitternächtlich’ Spiel
noch eh’ die Eltern sich’s versah’n
aus heit’rem Kindermunde fiel
ein kleiner, weißer Kinderzahn

Der Vater eilte rasch herbei,
der Junior biss ihm in die Hand
und auf des Vaters Freudenschrei
kam auch die Mutter angerannt

Von nun an trank mit großer Wonne
das Kind das Blut der Nachbarsleut’
Und blieb es immer fern der Sonne,
so beißt’s durch’s Leben sich bis heut’

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Die Mär vom kleinen Vampyr von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Montag, 10. Oktober 2011

Der Greis

Kürzlich ist mir schlagartig klar geworden, dass ich mich noch nie an einem Herbstgedicht versucht habe. Sicher liegt das daran, dass ich dieser Jahreszeit für gewöhnlich kaum Sympathie entgegen bringe - ich bin eher ein Frühlingsmensch.
Ich nutzte deshalb meinen bevorzugten Arbeitsplatz, die Straßenbahn, um das Versäumnis nachzuholen. Dabei entstand das folgende Werk. Das Reimschema (abaccb) habe ich meines Wissens auch noch nie verwendet. Es gefiel mir aber irgendwie gerade.
Übrigens habe ich das Gedicht aufgrund der ungewohnten Thematik zunächst auf Lyrikecke.de erprobt und verfeinert. Ich kann diese Community sehr empfehlen, bin seit vielen Jahren Mitglied.


Der Greis

Weiße Haare schweben
und welk wird manches Blatt.
Es werden schwer die Reben.
Ein hager Greis kleidet sich an,
kämmt seine Mähne, lächelt dann,
weil er's nicht eilig hat.

Schwarze Vögel hocken
auf Feldern wüst und rau.
Am Rande Äpfel locken
als Frühstück für den Alten,
und aus den tiefen Falten
reibt er sich Nebeltau.

Die Zweige glitzern eisig
wie schon im Jahr zuvor.
Es raschelt unterm Reisig.
Der Alte streckt die Glieder,
geht alle Jahre wieder
zu seines Hofes Tor.

Die Erde wird von Schnee bedeckt,
ihr Blut fließt unterm Eise.
Sie schläft nun, bis man sie einst weckt.
Gevatter Frost nimmt seinen Stock,
er schließt den weißen Wanderrock
und macht sich auf die Reise.

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Der Greis von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Wie der lösliche Zitronentee zu den Menschen kam

Beim Durchwühlen meines digitalen Archives ist mir das folgende Kuriosum in die Hände gefallen. Ich hatte selbst völlig vergessen, dass ich so etwas je verbrochen habe. Leider kann ich mich kaum noch erinnern, warum ich es schrieb, vermutlich war es eine Art Nonsense-Schreibwettbewerb zu einem vollkommen zufälligen Thema. Ich konnte nur ermitteln, dass ich es im Juli 2006 geschrieben haben muss.
Es ist albern und hat kaum einen literarischen Wert, aber trotzdem musste ich ein wenig schmunzeln. Ich möchte es meiner Leserschaft nicht vorenthalten.


Wie der lösliche Zitronentee zu den Menschen kam

Und es ergab sich dereinst zu grauen Zeiten,
dass ein furchtbares Handelsembargo
das gelobte Land heimsuchte
Und die Völker des Herrn verzagten.
„Die Kinder dursten, O Herr!
Und niemand will reines Wasser
aus der Leitung trinken, denn es schmeckt nur
nach Chlor und enthält kein Vitamin C!“
So klagten sie gen Himmel.
Da erschien ein Bote auf dem Berge
Aldimarktum. Und er trug weiße Gewänder
und war gar fürstlich anzusehn.
In seinen Händen hielt er ein gar wunderliches
Gefäß mit gelbem Schraubdeckel.
„So bringet mir Wasser, im Namen des Herrn!“,
sprach Gottes Bote mit mächtiger Stimme vom Berge.
Und das Volk brachte ihm Wasser aus dem Brunnen.

Und ein Wunder geschah auf dem Berge Aldimarktum,
denn die segnenden Hände des Engels
huben aus der Büchse mit dem gelben Schraubdeckel
ein Granulat, das das Wasser färbte.
„Trinkt, meine Kinder!“, befahl da der Engel.
Und die Menschen tranken. Es schmeckte
nach chemischen Geschmacksstoffen und Zucker.
Und der Engel verkaufte sehr preiswert viele
weitere Büchsen an das Volk Gottes.
Und die Menschen fanden, dass es gut war,
denn das Granulat war ergiebig und sorgte
für wenig Geld dafür, dass das Wasser einen anderen
Geschmack bekam.

„Was ist das, oh Strahlender?“,
frugen die Menschen den Boten voll Demut.
„Das ist löslicher Zitronentee, das schmeckt man doch!“,
sprach da der Engel und erhob sich wieder gen Himmel.
Und fortan hieß das wunderliche Granulat
„löslicher Zitronentee“.
Und die Menschen priesen Gott den Herrn, denn
er hatte sie in seiner Gnade vor dem Verdursten bewahrt.
Und er hatte Kreativität bewiesen, denn er
sah von der weniger originellen Lösung ab,
einfach das Wasser schmackhafter zu machen…

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Wie der lösliche Zitronentee zu den Menschen kam von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Sonntag, 2. Oktober 2011

Fingerzeig

Beim ersten Gedicht, das ich in diesem Monat dem Archiv hinzu füge, handelt es sich erneut um Liebeslyrik. Geschrieben habe ich es im Juni 2006, veröffentlicht wurde es bisher noch nicht.


Fingerzeig

Lass’ deine zarte Hand ein wenig noch
auf meiner Wange wärmend ruh’n
Kein Seidentuch, und sei es golddurchwirkt,
vermag den Regen meiner Seele
edler aufzuhalten
Wie sonnig wird’s um mein Gemüt,
wenn meine Nasenspitze deinen Finger grüßt
Und meine Wolken schiebst beiseite du
ie eine Daunenfeder ohne Müh’

Mein Blumenduft, mein Morgentau,
du bist der Wind, der meinen Himmel klärt
Und gleich Persephone erweckst
den Frühling du in meinem Herzen

Ich liebe deine Hand,
die mich erhebt und hält
Nimm sie nicht fort von mir
- nie wieder…

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Fingerzeig von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Freitag, 30. September 2011

Für Tabea

Ab und zu neige ich wirklich zu kitschigen Anfällen. Die Geburt eines Kindes im engsten Freundeskreis halte ich aber für eine gerechtfertigte Ausnahme. Als im Mai 2007 ebensolcher Ausnahmefall eintrat, schrieb ich das folgende Gedicht, kurz bevor das Kind zur Welt kam. Ich war gerade fertig, als ich erfuhr, dass ich als Besucher mal kurz vorbei schauen dürfe. Ich druckte das Gedicht aus und las es der glücklichen Mama - und natürlich dem Baby - noch am Bett vor. Daher kann ich wahrlich behaupten, Tabea das erste Gedicht ihres Lebens vorgelesen zu haben. Die Kombination aus Bild und Gedicht entstand kurz darauf, GIMP sei Dank.


© by Stefan Reichelt, alle Rechte vorbehalten.

Donnerstag, 29. September 2011

Dichterschwur

Als Dichter verfolgt man in der Regel ein bestimmtes Ziel. Manche Ziele sind egoistischer Natur, manche gar politisch. Ein Gedicht transportiert Meinungen und Emotionen und manchmal weiß der Poet selbst nicht, was er mit seinen Worten unbewusst von sich preis gibt. Eine starke Triebfeder und Inspirationsquelle ist die Unzufriedenheit. Vielleicht steht der Schreiberling gerade im Regen an einer roten Ampel, als ihm die Idee zu einem Gedicht über eine einsame, sommerliche Blumenwiese in den Sinn kommt. Vielleicht sitzt er aber auch auf ebensolcher Blumenwiese und wünscht sich, nicht allein dort zu sitzen, was ihn zu einem Liebesgedicht inspiriert.
Beide Gedichte werden das Streben nach einem harmonischen, stressfreien, glücklichen Dasein mit sich tragen.

Auch mein Schaffen ist von der Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander geprägt. Nicht umsonst ist Hans Christian Andersen eines meiner literarischen Vorbilder. Ich denke, dass es uns Erwachsenen gut tut, ab und zu die Welt aus einer (früh-)kindlichen Perspektive zu sehen. Ein Marienkäfer, der einen Baum hinauf krabbelt, kann (und sollte) wesentlich mehr Freude bereiten, als der aktuelle Kontostand. Der Respekt vor scheinbar unwichtigen Details - und die wertfreie Neugier darauf - hilft uns, fremde Sichtweisen zu verstehen und mit der Erkenntnis umzugehen, dass das Unbekannte, Unerwartete auch völlig neue Denkansätze liefern kann und nicht zwangsläufig eine Gefahr darstellt. Genau diese Erkenntnis ist eine Grundlage für ein funktionierendes soziales Umfeld, im Großen wie im Kleinen.
2005 fasste ich dieses Arbeitsmotto wie folgt zusammen:


Dichterschwur

wenn auch nur ein Vogel heller singt
und nur eine Träne des Schmerzes
einer Träne der Erleichterung weicht
wenn auch nur eine Hand, zum Schlag erhoben,
nieder sinkt und tröstend streichelt
wenn auch nur ein längst tot geglaubtes Herz
neu entflammt und innig liebt

dann hab ich nicht umsonst geschrieben
und nicht umsonst gelebt
dann bin ich schon zufrieden

doch schreibend wirken werde ich,
bis dass der Tod mir reißt die Feder aus der Hand
dies sei mein heil’ger Eid.

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Dichterschwur von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Mittwoch, 28. September 2011

stille Träume

Einfach mal innehalten und träumen - die Gelegenheiten dazu werden immer seltener, bis wir schließlich kalte, abgestumpfte, verbitterte Materialisten sind. Dabei ist es doch so wichtig, geistigen Urlaub vom Alltag nehmen zu können.


stille Träume

Wie oft bist du eingetaucht
tagträumend ins weite Sternenmeer?
Wann fand der letzte Blumenduft
den Weg in deine Nase?
Wann hast du zum letzten Mal
den blauen Himmel stumm betrachtet
und blicktest tausend Wunder?
Kannst du noch träumen, sinnen, denken?

Dann träum, soweit dich deine Träume tragen!
Flieg, wohin dich bringt die Fantasie!
Und wenn du kehrst zurück von deinen Reisen,
dann halt die Augenblicke fest
Mach, dass die Menschen sinnend schweigen
und schenke jedem einen Traum

Der Wert der Stille zeigt sich erst
im lauten, bunten Tosen
einer lauten, bunten Welt
Um alles Sinnen, Denken, Fantasieren
zu ertränken
genügt ein
winziger
Tropfen
Lärm

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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stille Träume von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Dienstag, 27. September 2011

Keine Antwort

Heute mal wieder ein etwas neueres Werk (2007), das noch nirgendwo in gedruckter Form veröffentlicht wurde. Es ist ein wenig im Wilhelm-Busch-Stil geschrieben, den ich persönlich sehr mag.

Keine Antwort

"O Dichter - sag mir was ist Liebe?"
frug mich ein Freund in höchster Not.
"Ist´s nur ein Irrlicht meiner Triebe?
Sind´s Küsse heiß im Abendrot?"

"Liebe ist nicht: Zu ertragen
was des Andern Fehler sind
Liebe ist kein Spiel der Fragen,
Liebe macht nur anfangs blind

Liebe kannst du nicht beschießen
Flüchtig ist sie wie ein Gas
Durch die Finger kann sie fließen
und sie bricht so leicht wie Glas"

"Teurer, lass die üblen Scherze",
sprach der Freund in hellem Zorn.
"Ist´s im Dunkeln eine Kerze,
ist´s des Lebens Samenkorn?"

"Bester", sprach ich, "an der Liebe
brach manch' Federkiel entzwei
glaubst du, dass ich drüber schriebe
wenn ich wüsste, was es sei?"

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Keine Anwort von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Montag, 26. September 2011

Einsamkeit?

Einer meiner persönlichen Favoriten: Diese Zeilen beschreiben, wie schwierig und deprimierend es ist, jemandem Trost zu spenden, der keine Hilfe annehmen kann.

Einsamkeit?

Gestern sah ich dich im Traum
Du lagst allein auf deinem Bett
Und deine Lippen formten
einen Wunsch:
Ein Wind möge kommen
und dich trösten
Er soll dich tragen
in ferne Welten,
weg von den Sorgen

Durch das geöffnete Fenster
wehte nur ein leichter Hauch
Er strich über deine Wange
und deine Tränen trockneten
Doch du weintest neue.
Der kleine Wind
fuhr über deinen Arm
erzeugte eine lustige Gänsehaut
damit du wieder lachst
Und du decktest dich zu.
Er pustete sanft in deine Augen
Damit du müde wirst
und im Schlaf Ruhe findest.
Doch du drehtest dich
einfach auf die Seite
Die Luft
streichelte sanft deine Wange
um dich zu trösten
Doch du klagtest nur,
über Einsamkeit

Und auf dem Fensterbrett
Saß ein kleiner Lufthauch
und weinte.

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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Einsamkeit von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Sonntag, 25. September 2011

Warten auf die Liebste

Zum Sonntag ein klassisches Liebesgedicht. Es orientiert sich stark an traditionellen romantischen Motiven. Dennoch kann die erwähnte Liebste bestätigen, dass es eine wahre Begebenheit nacherzählt. :)

Warten auf die Liebste

Ich blickt’ von einer Brücke klein
voll Wehmut in die Nacht
Im Wasser tanzte Mondenschein
Ein Windhauch küsst’ mich sacht

Es ward mir ach das Herz so schwer
Der Augenblick zur Stund’
Ich hatt’ schon keine Hoffnung mehr
Zu küssen ihren Mund

Und wie ich auf der Brücke stand
im hellen Mondenlicht
berührte eine zarte Hand
liebkosend mein Gesicht

Und unsre Lippen trafen sich
So endet die Geschicht:
Mit Worten wie „Ich liebe dich!“.
Und mehr erzähl’ ich nicht

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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Warten auf die Liebste von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Freitag, 23. September 2011

Vor dem Sturm

Dieses Gedicht schrieb ich ebenfalls im äußerst produktiven Jahr 2005. Es ist eine Mahnung, offen mit den eigenen Gefühlen umzugehen.

Vor dem Sturm

ein kühler Hauch streicht über Gräser
die Sonne schwindet,
düstre Wolken
bringen die Natur zum Schweigen
auch du schweigst
immer tiefer dein Atmen
den stärker werdenden Wind
versuchst du aufzusaugen
weil du hoffst,
dem Sturm die Kraft zu nehmen
wenn er losbricht
das leise Grollen ignorierst du
prickelnde Wassertropfen
wischst du angewidert weg
es wird schon keinen Regen geben
die Bäume erzittern
auch du zitterst
mehr und mehr Wind
nimmst du in dich auf
die edle Ruhe,
die du ausstrahlst
ist Feigheit unter
arroganter Maske
und du stellst dich trotzig auf
willst bremsen jeden Sturm
weil du dich fürchtest
und du weißt
dass er sich in dir sammelt
bis zum Bersten bist du gefüllt
was willst du tun,
wenn das Gewitter kommt?

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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Vor dem Sturm von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Donnerstag, 22. September 2011

Schlafe, kleine Rose

Heute ein Gedicht, das ich 2005 als Schlaflied für meine Liebste geschrieben habe. Manchmal singe ich es ihr sogar mit einer kleinen Pseudomelodie vor. Wenn sich jemand berufen fühlt, ein richtiges Lied daraus zu machen - nur zu!

Schlafe, kleine Rose

Kleine, rote Tropfen
fallen auf die Erde
Deine Dornen stechen tief
wilde, schwarze Rose

Kaltes Wasser trankest du
mit deinen zarten Wurzeln
Deine Blätter wundergrün
neigen sich zu Boden

Schwere Winde beugten dich
traurig hängt dein Köpfchen
Goldnen Nektar bittersüß
weinest du wie Tränen

Siehst du nicht den Mondenstrahl
der dich küsst im Traume?
Und die Nacht, die dich bedeckt
mit dem schwarzen Kleide?

Über deinem Bett zwei Stern’
die Augen eines Engels
Zage nicht, mein Blümelein
erhole dich vom Tage

Träume süß und schlafe fein
kleine, schwarze Rose
Morgen früh im Sonnenschein
sind die Sorgen halb so groß…

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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Schlafe, kleine Rose von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Montag, 19. September 2011

Schönheit ist ein wankelmütig' Maß...

Dieses Gedicht (entstanden im März 2006) passt stilistisch und inhaltlich überhaupt nicht zum Rest der Sammlung. Es ist rebellisch, direkt und erkennbar von Volly Tanners unverblümter Ausdrucksweise beeinflusst. Auf Lesungen war es immer eine willkommene Auflockerung. Mehr muss ich nicht erklären, ich denke, es spricht für sich selbst.

Schönheit ist ein wankelmütig' Maß...

Da laufen sie, die Knochenhuren
auf den Brettern, die das Geld bedeuten
In ihren leeren Augen thront der Stolz
auf hautbespannte Beckenknochen
Mit stolz geschwellter Knabenbrust
und klapperdürren Stelzenbeinen
schwanken sie den Steg entlang
wie es ein Dromedar nicht besser könnte
Ihr falsches Lächeln verzaubert
dekadente Männer scharenweise
O seht die laufenden Skelette,
wie anmutig sie wandeln!
Und ihre Rippen seh' ich alle
wie sind sie wohlgeformt!
Und sie verkaufen sich, erbrechen sich
die Hungertücher tragen sie
wie sündhaft teure Mäntel
und kränken so in dummer Einfalt
die wahren Hungerleider
O Welt, wie bist du alt geworden,
dass dich des Weibes Üppigkeit
nicht mehr erregt!
Gerippe sollen in die Erde,
nicht ins Rampenlicht

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Schönheit ist ein wankelmütig' Maß... von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Samstag, 17. September 2011

Der edle Ritter und die Tochter des Todes

Hans Christian Andersen ist meine größte Inspirationsquelle und literarisches Idol Nummer eins. Er erhob die Naivität zum Ideal, noch bevor sich Antoine de Saint-Exupéry und James Matthew Barrie (natürlich ebenfalls meisterhaft) diesem Thema widmeten. Für mich ist es zum Lebensmotto geworden, es niemals zu verlernen, die Welt mit Kinderaugen zu betrachten. Unter dem Einfluss von Andersens wundervollen Kunstmärchen schrieb ich (Irgendwann im Winter 2003/2004) auch die folgende Kurzgeschichte.


Der edle Ritter und die Tochter des Todes

Es war einmal in uralten Zeiten, als man vor einer Dame noch den Hut zog und Kämpfe von Angesicht zu Angesicht ausgetragen wurden, ein armer Ritter. All seine Habseligkeiten trug er stets bei sich: Ein zartes Herz, einen wachen Verstand, scharfe Augen und das alte Schwert seines verstorbenen Vaters. Seine Kleidung war ein zerschlissener Waffenrock aus Leder, auf dem er stolz sein Familienwappen trug. Einsam zog er von Land zu Land und nährte sich von den Früchten des Weges. Kam er in ein Dorf, so wurde er freudig aufgenommen, denn sein Herz war rein und sein Handeln voll Güte. So manchen Streit schlichtete er, indem er sich mit blanker Klinge zwischen die Raufbolde stellte und sprach:
"Wollt ihr die Fäuste sprechen lassen, so müsst ihr erst mich überwinden!"
Da wurde jeder Bursche zahm, und die beiden Gegner trugen artig ihr Anliegen vor. Schon bald war er als der friedliche Ritter im ganzen Reich berühmt. Ja, er war wahrlich ein ehrenhafter Ritter, wie er im Buche steht.

Doch er trug stets einen großen Kummer bei sich: Er fand kein Weib, das an seiner Seite leben wollte. Und immer, wenn er Kinder lachen sah oder im Frühling die Liebespaare unter den Lindenbäumen saßen und sich küssten, so wurde ihm das Herz im Leibe unerträglich schwer.
Eines Abends, als er sich mit heimlichen Tränen auf weichem Waldmoos zur Ruhe betten wollte, kam eine kleine schwarze Nachtigall angeflogen und setzte sich ohne Scheu vor seine Füße. Behutsam kniete der junge Rittersmann nieder und gab dem Vogel von seiner Wegzehrung. Dann legte er sich wieder hin und schloss die Augen. Doch die Nachtigall begann, mit heller und klarer Stimme gar wundervolle Lieder zu singen,und dem Ritter war, als bekäme seine Seele Flügel. Und er entglitt in einen sanften Traum.
Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht flog er über sonnige Landschaften, und um ihn herum schwirrten kleine Engel und Feen, die ihm liebevolle Worte ins Ohr flüsterten. Als er wieder mit den Füßen auf dem Boden stand, erblickte er vor sich eine einzelne, vollkommene Rose, die gerade aus dem Boden wuchs. Ihr Duft raubte ihm den Atem, und er kniete vor ihr nieder.
"Diese Rose ist dein Herz, das vor Liebe überquillt. Und sie ist die Wurzel deiner Qualen. Reiße sie aus, und du wirst ein zufriedenes Leben führen", flüsterte ihm eine dunkle, gesichtslose Stimme ins Ohr.
"Nein! Diese Rose ist so wunderschön... lieber leide ich, bis ich daran zerbreche. Ich will meine Liebe nicht verlieren. Denn ohne sie bin ich doch nur eines von diesen Wesen, die selbst einen Ritter brauchen, der für sie das Herz opfert. Und wehe der Welt, die Ritter braucht und keine hat"
So sprach er und stellte sich schützend vor die Rose, die in ihrer Pracht alles überstrahlte.

Dann schlug er die Augen auf. Der Morgen war angebrochen, und funkelnde Tautropfen hingen von Gräsern und Blättern. Als er den Kopf wendete, erblickte er ein wunderschönes Mädchen mit langem goldenem Haar, und ihre Wangen und Lippen waren Rosen gleich, und ihre Haut war weiß wie poliertes Elfenbein. Schlafend lag sie neben ihm, und er war von ihrem Anblick so verzaubert, dass er wie gebannt auf ihr Erwachen wartete. Als sie ihn dann anblickte, entbrannte er in tiefer Liebe zu ihr. Und unter ihren Küssen tanzte sein Herz im Leibe. Hand in Hand gingen die Beiden ein Stück des Weges,und nun schmerzte es den armen Ritter nicht mehr, wenn er glückliche Liebespaare sah.
Doch es kam der Abend, und mit dem schwindenden Tageslicht verfinsterten sich auch die schönen Gesichtszüge der Maid. Als die Sonne hinter den fernen Bergen verschwunden war, war der Ritter plötzlich wieder allein. Und so wenig wie er wusste woher sie kam, wusste er nun wohin sie gegangen war. Da wurde er noch trauriger als je zuvor. Heiße Tränen netzten sein Gesicht, und so sank er ermattet ins weiche Gras.
Da bemerkte er, dass wieder die Nachtigall auf seiner Schulter saß. Und wie als ob sie seine Trauer bemerkt hätte, hob sie sogleich zu singen an.
Da wurde er unsäglich müde und schlief ein. Wieder träumte er, über sonnige Landschaften zu fliegen und wieder schwebten an seiner Seite viele kleine Engel und Feen, die mit lieblichen Stimmen auf ihn einredeten. Dann stand er wieder vor der wunderschönen Rose, die gerade und einzeln aus dem Boden wuchs. Doch nun hingen ihre Blätter traurig herab, und einige Blütenblätter lagen verwelkt am Boden.
"Siehst du, wie dein Herz stirbt? Spürst du, wie dich jedes zu Boden gefallene Blatt mit unerträglichen Schmerzen quält? Brich die Rose ab, beende dein Leiden!"
Doch wie in der vorigen Nacht beschützte er die zarte Blume.
"Führt mich nur in Versuchung, ihr eisigen Mächte?, rief er trotzig, "mein Herz bekommt ihr nicht!"

Als er am nächsten Morgen wieder erwachte und die Augen öffnete, sah er ein Gesicht über sich, so schön wie der Frühling und so jung wie der Morgentau. Glänzend schwarzes Haar floss vom Haupte des Mädchens über die zarten Schultern, und unter ihrem Lächeln vergaß er alles was bisher geschehen war, vergaß den letzten Tag und verliebte sich unsterblich in das unbekannte Wesen.
Dieser Tag war voller Freuden, noch viel liebevoller als der letzte. Nun hoffte er, endlich das Glück seines Lebens gefunden zu haben. Und er war zufrieden mit sich und der Welt.
Doch der Abend nahte, und in der beginnenden Dämmerung ward ihre zarte Gestalt wie ein Lufthauch.

Wieder war er mutterseelenallein. Wehmut verschnürte eisig seine Kehle, und die Tränen rannen unaufhörlich. Doch er erhob keine Klage gen Himmel, denn sein Schicksal war selbst gewählt. Zu Tode betrübt und ermattet sank er am Fuße eines alten Lindenbaumes nieder und schloss die Augen. Schon bald tauchte die Nachtigall aus der Abenddämmerung auf und sang vor seinen Füßen ein sanftes Lied, das ihn in Morpheus' Reich entführte. So fand er sich in dem alten Rosengarten wieder, in dem die Blume seines Herzens stand. Schrecklich war sie zugerichtet. Auch die letzten Blätter waren zu Boden gefallen, und das blütenlose Köpfchen hing traurig zur Erde hinab. Lange, messerscharfe Dornen ragten nun aus der einst so schönen Blume. Allein ihr Anblick schmerzte den armen Ritter unerträglich. Ihm war als würde sich alles Leid der Welt über ihn ergießen, und in seiner Brust riss es ihn, als wände sich die grausame stachelige Kugel eines Morgensterns darin.
"Siehst du nun, wohin dich der dornige Pfad der Liebe führt?", sprach wieder die Stimme aus dem Nichts. Nun war es eine sanfte, engelsgleiche Stimme, in der unendlicher Kummer schwang.
"Oh du edler Ritter, bitte zieh die unselige Rose aus dem fluchbeladnen Boden! Ich kann dich nicht so leiden sehn!",schluchzte sie.
Da kniete er nieder und sprach feierlich:
"Wer auch immer Ihr sein mögt, und wie groß Euer Mitleid auch sein mag: Ich werde den Pfad der Liebe niemals verlassen. Eher sterbe ich, als dass ich kalt und herzlos werde"
Da landete die Nachtigall vor ihm und sah ihn lange an. Doch er rührte sich nicht mehr und hielt Schildwache vor der todkranken Rose.
"Du bist ein reines Wesen im Geist und Herz, dein Handeln ist eines Engels würdig. Nie sah ich einen Menschen, der den bitteren Kelch der Liebe bis zur Neige leerte und den Versuchungen der Kälte so tapfer widerstand"
So sprach die Nachtigall und verwandelte sich vor den Augen des Ritters in ein Mädchen von unvergleichlicher Schönheit. Ihr Leib war wohl gerundet als sei er Venus selbst nachempfunden. Ihre Haut strahlte weiß wie frisch gefallener Schnee, und ihre schwarzen Haare verhüllten einem Schleier gleich die in jugendlicher Unschuld gezeigte Blöße sorgsam vor den Blicken Unwürdiger. Ihre Wangen waren lieblich gerötet, als habe die rosenfingrige Eos sie sanft geküsst. Die Sonne schien ihr ein prachtvolles Diadem aufs Haupt.
"Wer seid Ihr und womit habe ich es verdient, solche Schönheit blicken zu dürfen?", fragte er voll Bewunderung.
"Mein Vater ist der Tod und meine Mutter die Sehnsucht. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich dich bemerkt, erblickte dein reines Herz und verliebte mich sogleich in dich. Doch mein Vater ist der Herr über alles Lebende, und er ist ein sehr strenger und umsichtiger Regent. Deshalb darf ich erst jetzt vor dich treten, da du die schweren Prüfungen meiner Mutter so weise und tapfer überstanden hast. Doch nun soll all dein Leid vergessen sein"
Mit diesen Worten küsste sie ihn und er entbrannte in tiefster Liebe zu ihr. Da waren keine Schmerzen mehr, und auch die Trauer war verschwunden.
So vermählten sie sich bald und zogen in das uralte Schloss ein, das sich Hades nannte. Und während der Tod seiner undankbaren Arbeit nachging, regierte das Paar fortan über das stille Reich, in dem es niemals Aufruhr gibt und wo die Träume greifbar sind.

Sanft und schwer senkte sich die weiche Schneedecke auf den starren Leib eines einsamen Rittersmannes, der am Fuße einer alten Linde seine letzte Ruhe fand. Und das liebevolle Lächeln in seinem edlen Gesicht blieb noch lange erhalten. In seinen glasigen Augen schimmerte noch ein Nachhall des letzten Traumes, mit dem er in die ewige Geborgenheit entschwebt war.

© by Stefan Reichelt

Freitag, 16. September 2011

In Memoriam

Geschrieben 2005, um einem Freund Trost zu spenden, hat sich dieses Werk auf zahlreichen Lesungen zum Klassiker etabliert und gehört somit unbedingt in diese Sammlung.


In Memoriam

Eine Kerze erlischt
Heiße Perlen aus Salz
bahnen sich Ihren Weg
durch Täler, die der
Schmerz geschaffen

Weine nur.

Die letzte Glut des Dochtes
schwindet leis' ins Nichts
Weißer Rauch steigt auf
sanft verblassend.
Deine Hände halten ihn nicht auf.

Weine nur.

Nie mehr wird diese
Flamme leuchten
denn keine ist
der nächsten gleich
Gedenke Ihrer liebevoll

Weine nur.

Jede Flamme
brennt sie auch noch so kurz
erhellt die Nacht ein wenig
und auch ihr Leben
hat sich gelohnt

Weine nicht.

Wie kurz doch brennt
unser aller Herzensflamme
und wie bedeutungslos
die Spanne dieser Zeit
Wichtig ist nur: Sie brannte.

Weine nicht.

Der alte Mann,
der viel erreicht
Das kleine Kind,
das nie geboren ward
Sie beide brachten
Glück und Liebe in die Welt
so weit sie ihre Kräfte trugen
Und jeder Tod ist nur
Das Siegel eines Lebenswerkes

Warum weinst du?

Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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In Memoriam von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Donnerstag, 15. September 2011

Keine Worte

Dieses Gedicht trug ich auf meiner ersten Lesung, am Valentinstag im Jahre 2004, vor. Ich schrieb es für die wunderbare Frau, die es immer noch an meiner Seite aushält und ohne die mein Leben furchtbar langweilig wär'.
Es befindet sich zudem in meinem ersten Büchlein "Fallen Seraph: AusLese", das ebenfalls 2004 im Engelsdorfer Verlag erschien.


Keine Worte

Ich wollt' dir schreiben ein Gedicht
Zu sagen was ich fühl und denk
Und zu erhellen dein Gesicht
Mit einem Valentinsgeschenk

Doch ach, die Feder senkt' ich trüb
Die Zeit verrann mir wie im Flug
Mit welchem Eifer ich auch schrieb:
Der Worte gab es nicht genug

Um zu beschreiben meine Liebe
Und wie ich mich nach dir verzehr
Egal was immer ich auch schriebe
Die Sprache reicht schon lang nicht mehr.

Ich wollt beschreiben deine Augen
Für die Smaragde Kiesel werden
Doch meine Zeilen gar nichts taugen
Es gibt kein Wort dafür auf Erden

Ein feiner Dichter bin ich nun:
Wie sag ich, dass du mir gefällst?
Da kann ich wirklich gar nichts tun
Weil du selbst Venus in den Schatten stellst

Die Grübelei erhellt kein Licht
So sehr mir zum Verdruss
Ich liebe dich! Mehr sag ich nicht
Den Rest sagt dir mein Kuss.

© by Stefan Reichelt

Mittwoch, 14. September 2011

Zauberaugen

Liebesgedichte dürften den Großteil meines literarischen Gesamtwerkes ausmachen. Das nun folgende Gedicht schrieb ich erst Anfang 2006. Besonders anzumerken ist, dass die schönsten Zauberaugen so aussehen und jetzt wie damals meiner wahrlich bezaubernden Verlobten gehören:










Zauberaugen

Oh, wie es mich grauend plagte,
als mir es die Erkenntnis sagte:
Dass ich ihm nicht entgehen kann -
der Zauberaugen Zauberbann.

Wohl kann ich sie ignorieren,
die blauen Augen, die saphiren.
Doch rasch entgleitet mir der Zwang,
ertönt ihr Wimperklimperklang.

Auch wenn die grünen Augen glühn',
so muss ich mich doch sehr bemühn',
zu wahren meiner Beine Kraft,
die leider viel zu schnell erschlafft.

Und erst die braunen Rehleinaugen,
die mich förmlich zu sich saugen!
Sie lassen tauchen mich und schwimmen
in einem Meer von Engelsstimmen.

Wie sag' ich's meinem holden Weib,
dass Augenschau mein Zeitvertreib?
Mag’s zur Versöhnung ihr gefallen,
dass sie die schönsten hat von allen?

Oh Zauberaug', ob grün, ob braun –
ich bin verdammt, dich gern zu schaun.
Doch sagen kann ich ohne Reu':
Ich bleibe meiner Liebsten treu!


Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA. Das obige Bild ist in der Lizenz nicht enthalten. Nutzungsgenehmigung liegt vor.
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Zauberaugen von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Dienstag, 13. September 2011

Astrosophie

Das Thema "selbst verschuldete Einsamkeit" zieht sich wie ein roter Faden durch meine Gedichte und Geschichten. Im Sommer 2006 schrieb ich dieses hier. Es wurde noch nicht in gedruckter Form veröffentlicht und nur auf einigen Lesungen vorgetragen.

Astrosophie

es war ein Stern im Weltenall
der fühlte sich allein
und war dabei kein Einzelfall
- wie könnt’ es anders sein?

er ward umkreist von Felsen kalt,
die sandten keinen Strahl
so fand im Raum er keinen Halt,
das Leben - eine Qual

und als er sah, dass Traurigsein
ihn nicht vom Flecke bracht’
so wärmt’ gelangweilt er die Stein’,
die kreisten in der Nacht

wie strahlte da das Sterngesicht,
als er bemerkt’ sein Glück:
die Felsen leuchteten im Licht
und gaben viel zurück

und immer wärmer wurde ihm
auch den Trabanten klein
da hub ein Felslein an zu glüh’n
als neuer Sonnenschein

vorbei war nun die Einsamkeit
sie machten sich’s bequem
und leuchteten fortan zu zweit
als Doppelsternsystem

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Montag, 12. September 2011

Abend am See

Heute ein kleines Stück Naturlyrik, ebenfalls entstanden im Jahr 2005 und sehr traditionell gehalten. Es bewegt nichts, will nichts verändern, nur einen schönen Augenblick der Stille festhalten. Deshalb gefällt es mir, so kitschig es auch vielleicht wirkt.


Abend am See

Der roten Funken Sonnenglanz
Schwimmt lautlos auf den Wellen
Der Mückenschwärme Liebestanz
Erfreut die Froschgesellen

Und stille wird der Vogelsang
Die Wiesenblüten schlafen
Und einer Fischerweise Klang
Besingt den alten Hafen

Ein Weg aus glühend' Purpurlicht
Erstrahlt wie tausend Sonnen
Der Schein erhellt dein Angesicht
Es locken Liebeswonnen

Die Stimmung macht mein Herze warm
Es liegt der See in Schlummer
Hier find ich Ruh' in deinem Arm
Hier ist kein Ort für Kummer


Anmerkung zur Lizenz: Dieses Gedicht erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.
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Abend am See von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

Sonntag, 11. September 2011

Einsame Frau am Fenster

Diese Kurzgeschichte entstand im Sommer 2005. Jeden Morgen lief ich an einem Seniorenheim vorbei, in dem auch meine Urgroßmutter ihre letzten Jahre verbracht hatte. An den Fenstern saßen alte Leute und starrten hinaus...

Einsame Frau am Fenster

Müde Augen starren verschwommenen Blickes auf den Asphaltweg, der an ihrer Residenz vorbei führt. Ihre silbernen Locken, die einst blond waren, wehen sanft im Wind, der durch das angekippte Fenster haucht.
Stimmen dringen von der Straße herein. Junge Menschen laufen vorbei. Einige schnellen Schrittes, einige gemächlicher. Manche schleppen schwere Einkaufstaschen und wirken erschöpft. Sie wissen nicht, wie erschöpfend das Leben wirklich sein kann.
Ihre letzte Mitbewohnerin ist erst kürzlich verstorben. Die Nachfolgerin bekommt oft Besuch. Sie hat ihr bisher nichts davon gesagt, dass das nachlassen wird, so wie bei ihr. Die Stille dieses Exils ist bedrückend, nur selten unterbrochen von der gestresst wirkenden Pflegerin, die Medikamente oder das Essen bringt.
Manchmal hat der junge Mann für sie Zeit, der hier seinen Zivildienst leistet. Er ist der Einzige, der wenigstens vorgibt, sich für ihre Erinnerungen zu interessieren. Sie erzählt so gern davon. Manchmal wiederholt sie sich, weil das Alter ihr Gedächtnis trübt. Seine zu leisen Antworten versteht sie nicht immer, aber sie schwelgt weiter in den Erlebnissen von damals. Zwei Kriege hat sie hinter sich, und ein erfülltes Leben.
An manchen Stellen hebt sich dann der Blick des jungen Mannes erstaunt. Ja, sie hat viel erlebt, viele Hindernisse überwunden. Sie hat sich erniedrigt und aufgelehnt, sie musste Schmerzen ertragen und mit Niederlagen umgehen. Sie hat gekämpft, um ihr Leben und das ihrer Kinder. Die Kinder, die sie jetzt kaum noch sieht. Sie hat Leute gesehen, deren Namen nun in den Geschichtsbüchern stehen, und sie kann Dinge über sie erzählen, die nie aufgeschrieben wurden.
Aber niemand hört ihr wirklich zu. In diesen einsamen Stunden überlegt sie oft, warum sie eigentlich gelebt hat. All ihre Erfahrungen sind wertlos, denn sie werden mit ihr sterben. Ihre Kinder sind in der Welt verstreut und streben -jeder für sich- dem gleichen Schicksal entgegen. Warum lebt überhaupt jemand?
Sie fährt sich mit der zitternden Hand über die Stirn, als könne sie diese bedrückenden Gedanken einfach wegwischen. Ihre Finger fahren vorsichtig über die faltige Haut ihres Gesichtes. Niemand kann sich mehr vorstellen, dass sie einst wunderschön war. Nicht einmal sie selbst. Diese blassen Wangen glühten einst voll Scham, als sie ihren ersten Kuss empfingen. Diese traurigen Lippen hatten so oft gelächelt und zärtlich die ihres lieben Mannes berührt. Ihr Mann... die jungen Pärchen da draußen erinnern sie immer an ihre eigene Jugend, als sie glücklich Hand in Hand mit ihm spazieren ging.
Lange ist er nun schon tot. Genau wie die meisten Freunde von damals. Sie fühlt sich wie der letzte Baum eines alten Waldes, der bald gefällt wird, um den jungen Trieben Platz zu machen. Sie könnte so viel lehren, so viele Erfahrungen weiter geben, so wertvoll für die nach ihr Kommenden sein. Aber sie ist eine alte Frau, die von ihrer Umwelt belächelt und kaum noch als Mensch wahrgenommen wird. Sie ist ein längst vergessenes Stück Vergangenheit, das mit einem unergründlichen Blick aus dem Fenster starrt.
Auf dem Asphaltweg läuft ein junger Mann vorbei, der in Richtung ihres Fensters blickt. Zuerst lächelt er sie an, doch sein Gesicht wirkt zunehmend trauriger. Schließlich wendet er sich ab und beschleunigt seinen Gang.

Sie weiß nicht, was in ihm vorgeht. Sie weiß nicht, dass er ein Dichter ist, der über sie nachdenkt. Sie ahnt nicht, wie bewegt er ist und dass er von ihr schreiben wird. Sie sieht die Tränen nicht, die er nur mit größter Anstrengung zurück hält.
Wenn sie all das wüsste - vielleicht würde sie lächeln.

Anmerkung zur Lizenz: Diese Geschichte erschien 2006 in der "Campus Artifex" Ausgabe 06/06, Verlag PaperOne, Titel "Und es leuchtet doch...". Da der Verlag die Ausgabe wieder aus dem Programm genommen hat (Restbestände sind über mich erhältlich), stelle ich sie hiermit unter die Creative Commons BY-NC-SA.

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Einsame Frau am Fenster von Stefan Reichelt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

Freitag, 9. September 2011

Einleitende Worte sind wie Leberflecken,...

...sie sind unnötig und werden kaum beachtet, aber ohne sie fehlt irgendwas. Ich will mich deshalb kurz fassen:

Vorrangig beginne ich mit einem Blog, um diesen Dienst auszuprobieren. Meine bisherige Homepage hatte nicht einmal ansatzweise etwas, das man CMS nennen konnte. Diese Seite bietet doch einige interessante Möglichkeiten und könnte eine echte Alternative sein, zumal ich keinerlei Gespür für Webdesign habe und froh bin, wenn ich eine einfache Möglichkeit habe, meine literarischen Ergüsse einigermaßen ansprechend zu präsentieren.

Das Projekt "Seraphenfeuer", einst liebevoll und intensiv gepflegt, liegt gerade leider im Wachkoma. Ich bin beruflich zu stark ausgelastet, um wirklich Muße für Lyrik oder gar Kurzprosa zu haben - von Lesungen ganz zu schweigen. Nichtsdestotrotz hänge ich immer noch an vielen meiner früheren Texte und habe kein Interesse daran, sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Deshalb werde ich in regelmäßigen Abständen meine bisher geschriebenen Werke hier veröffentlichen und sammeln. Vielleicht kommt doch ab und zu mal wieder ein neuer Text dazu.

Die meisten Werke - insbesondere jene, die noch nicht oder nicht mehr in gedruckter Form verfügbar sind - werde ich unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY NC SA - Namensnennung, nicht kommerziell, Weitergabe unter gleichen Bedingungen) veröffentlichen. Soweit diese Lizenzierung nicht gekennzeichnet ist, ist die Weiterverbreitung nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung erlaubt.